
Was bedeutet Vertrauen aus Sicht des Pferdes?
Wenn wir von „Vertrauen“ sprechen, denken wir oft an Nähe, an ein gutes Gefühl oder daran, dass das Pferd uns „gehorcht“. Doch für ein Pferd hat Vertrauen eine viel existenziellere Bedeutung: Es entscheidet darüber, ob es sich in deiner Nähe sicher oder gefährdet fühlt.
Ein Pferd fragt sich nicht: „Ist dieser Mensch nett?“, sondern:
„Kann ich mich entspannen, wenn du da bist? Oder muss ich wachsam bleiben?“
Vertrauen ist emotionale Sicherheit
Aus Sicht des Pferdes bedeutet Vertrauen vor allem:
• Ich werde nicht überfordert.
• Ich werde verstanden.
• Ich darf reagieren – und werde dafür nicht bestraft.
• Ich werde nicht allein gelassen, wenn es schwierig wird.
Ein Pferd, das vertraut, zeigt sich weich, aufmerksam, ansprechbar. Es bleibt in Verbindung – auch wenn es sich erschreckt. Es orientiert sich an dir, weil es gelernt hat: „Mit dir kann ich schwierige Situationen überstehen.“
Vertrauen ist kein blinder Gehorsam
Ein Pferd, das „alles mit sich machen lässt“, vertraut nicht unbedingt. Es kann auch einfach gelernt haben, dass Widerspruch zwecklos ist. Diese Pferde wirken ruhig, zeigen aber keine echte Verbindung.
Oft sind sie im Inneren abgeschaltet – im sogenannten „Shut Down“. Das sieht aus wie Vertrauen, ist aber in Wahrheit Resignation.
Echtes Vertrauen erkennt man daran, dass das Pferd sich selbstbewusst einlässt, nicht einfach nur aushält. Es darf auch mal Nein sagen – und trotzdem bleibt die Beziehung bestehen.
Warum Vertrauen keine Einbahnstraße ist
Viele Menschen wünschen sich, dass ihr Pferd ihnen vertraut. Sie arbeiten daran, investieren Zeit und Geduld – und sind frustriert, wenn das Pferd nicht so reagiert, wie sie es sich erhoffen. Doch Vertrauen ist nichts, das man „bekommt“. Es ist etwas, das entsteht – gemeinsam.
Vertrauen wächst in Beziehung, nicht in Kontrolle
Wenn wir einem Pferd begegnen, entscheiden nicht unsere Worte, sondern unser Verhalten über die Qualität der Beziehung. Und: Auch wir Menschen müssen lernen zu vertrauen.
• Vertrauen darauf, dass das Pferd gute Gründe für sein Verhalten hat.
• Vertrauen darauf, dass es uns nichts „antun“ will.
• Vertrauen darauf, dass kleine Schritte langfristig mehr bewirken als Zwang.
Oft sind es unsere eigenen Ängste, unser Bedürfnis nach Kontrolle oder unsere Ungeduld, die das Vertrauen blockieren.
Ein Pferd spürt, wenn wir innerlich zweifeln – und reagiert entsprechend.
Zwei Fragen für die Selbstreflexion:
1. Kann mein Pferd sich auf mich verlassen – auch wenn es schwierig wird?
2. Kann ich meinem Pferd vertrauen – auch wenn es mal reagiert?
Diese Ehrlichkeit ist der Anfang echter Beziehung. Denn wer bereit ist, sich selbst zu hinterfragen, öffnet den Raum für Wachstum – auf beiden Seiten.
Die drei Säulen des Vertrauens: Sicherheit – Verlässlichkeit – Fairness
Vertrauen entsteht nicht durch große Gesten oder spektakuläre Trainingserfolge. Es wächst auf einem stabilen Fundament aus drei einfachen, aber kraftvollen Elementen:
1. Sicherheit – Ich fühle mich geschützt bei dir
Ein Pferd, das sich bei dir sicher fühlt, wird entspannter, neugieriger und offener. Sicherheit heißt:
• keine plötzlichen Überforderungen
• keine unklaren oder widersprüchlichen Signale
• eine Umgebung, in der das Pferd sich orientieren kann
Sicherheit ist das emotionale Zuhause des Pferdes. Und dieses Zuhause entsteht durch dein Verhalten – nicht durch die Stallwände.
2. Verlässlichkeit – Du meinst, was du sagst
Verlässlichkeit bedeutet:
• Du bist berechenbar.
• Deine Stimmung schlägt nicht plötzlich um.
• Deine Körpersprache stimmt mit deinen Handlungen überein.
• Wenn du etwas versprichst – z. B. eine Pause, eine Belohnung – hältst du es auch ein.
Verlässliche Menschen sind für Pferde wie ein innerer Anker. Sie geben Halt – nicht, weil sie „dominant“ sind, sondern weil sie verlässlich ruhig und klar sind.
3. Fairness – Du verstehst, wie es mir geht
Fairness heißt: Du siehst das Pferd als fühlendes Lebewesen – mit Emotionen, Bedürfnissen und Reaktionen, die aus seiner Sicht logisch sind. Du nimmst Rücksicht auf sein Tempo, seine Geschichte, seinen Charakter.
Ein fairer Mensch achtet auf feine Signale, macht Pausen, fragt nach statt zu fordern. Und genau dadurch entsteht Respekt – echter, tiefer Respekt, der nicht auf Angst basiert, sondern auf Verbindung.
Aus dem Buch von Tommy Freundlich
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